Drachenfliegen auf einer sumpfigen und schlammigen Insel? Im Kopf entstehen automatisch Bilder von feuchten Gummistiefeln und verdreckten Drachen. Klingt das nach Spass pur? Unsere klare Antwort heisst: “Ja”. Denn “den sumpfte, dyndede ø”, also die versumpfte, schlammige Insel, heisst im Alt-Dänischen nichts anderes als: FANØ! Und dann wandelt sich das Kopfkino plötzlich zu hellen, strahlenden Farben, tausende von Drachen in der Luft und unzähligen Drachenfreunden stets zu einem gemütlichen Schnack parat. Klingt das nach Spass pur? Aber ganz gewiss!
Fanø also, oder um genauer zu sein, das 32. Internationale Kitefliers Meeting auf der dänischen Nordseeinsel, das seinerzeit vom Hamburger Wolfgang Schimmelpfennig ins Leben gerufen und über viele Jahre hinweg von Wolfgang und Rainer Kregovski organisiert und durchgeführt wurde. Nach dem Treffen im letzten Jahr erklärte Rainer seinen Wunsch in (Drachenflieger-) Rente gehen zu dürfen und legte daher seine Ämter zu diesem Jahr nieder. Dies wiederum war Grund genug nochmals ein ganz grosses Dankeschön an Rainer für seine geleistete Arbeit zu senden, was nicht zu letzt in einer grossen Party am Samstag Abend mündete. Ist Wolfgang somit alleine auf seinen Posten? Nein, ganz bestimmt nicht, denn er kann auch weiterhin auf seine bewehrte Crew von Mithelfen zurückgreifen und somit ist das Kitefliers Meeting auch für die nächsten Jahre hinweg gesichert und sollte einen festen Platz im Kalender der Drachenflieger haben.
Denn zu sehen und zu erleben gibt es wahrlich genug. Sowohl am Strand als auch auf diversen Workshops und Veranstaltungen.
Beginnen wir unsere kleine Rundtour über das 32. International Kitefliersmeeting doch einfach einmal am Strand und schauen ein wenig herum was es so Neues in der Drachenszene gibt.
Auf der Höhe von Fanø Bad treffen wir auf einen alten Bekannten. Jürgen Jansen erfreute uns im letzten Jahr mit seinen beiden Elefanten, die 350cm messende Mutterkuh samt das 280 Zentimeter messende Jungtier. Auffällig an Jürgens Kreationen ist dabei die Formgenauigkeit, welche die stablosen Drachen inne haben. Mit seiner neuesten Kreation weiss Jürgen wiederum zu überzeugen. Aus mehr als 600 einzelnen Teilen hat der findige Drachenbauer eine Giraffe zum Leben erweckt – im Massstab 1:1 wohl gemerkt. Wären da nicht die kühlen Temperaturen Dänemarks und das Rauschen der Nordsee, man würde sich fast in die Serengeti Afrikas versetzt fühlen.
Noch ein wenig weiter müssten wir reisen, wollten wir die Vorlage von Werner Flossbachs neuen stablosen Drachen in Natura sehen wollen. Nach einer T-Rex Familie im letzten Jahr geht es 2016 bei Werner wesentlich friedlicher zu, denn er hat sich in diesem Jahr ein Känguru vorgenommen. Wobei nicht nur ein Känguru gebaut wurde sondern gleich auch noch ein Jungtier das Licht der Welt unter der Nähmaschine erblickte. Letzteres schaut nun keck aus dem Beutel der Mutter heraus.
Verlassen wir für eine Weile die Welt der Stablosen und schauen uns ein wenig bei den Sätbchendrachen um. Ralf Maserski brachte zwei sehr schöne Boxen mit nach Fanø. Wavebox nennt der Dortmunder diese Kreation wobei der Namen schon auf die Form des Objektes hinweist. Es handelt sich nämlich um einen Kastendrachen, der bedingt durch die unterschiedliche Längen der Spreitzstäbe in Wellenform aufgebaut wird. Oder besser gesagt, aufgebaut werden kann. Denn je nachdem wie Ralf die Stäbe in sein Konstrukt einsetzt, erhält er einen Kastendrachen in unterschiedlicher Form.
Bei den Flachdrachen wiederum wusste Marcus J. Ertl auf sich aufmerksam zu machen. Marcus fliegt nicht nur gerne Drachen, er liesst auch unwahrscheinlich gerne Comics. Bei Jeff Smith schliesslich wurde er fündig, denn die Figur des “Elder Brother” liess ihn nicht mehr los. Hieraus entstand schliesslich der “Elder Brother” mit ein Meter Spannweite in einer flugfähigen Version. Das Flugverhalten stellte sich als so gut heraus, dass mehr Elder Brothers gebaut werden mussten. Einmal angefangen, kann Marcus mit dem Luftbruder nicht mehr aufhören und so ist er nunmehr dazu übergegangen Elder Brothers in Kette zufliegen. Und nicht nur das, die jüngsten Drachen zieren Landesfahnen aus den unterschiedlichsten Regionen der Erde.
Apropos Landkarte – bei Carsten Hokema aus Oldenburg konnten wir im letzten Jahr den Erstflug seiner gigantischen Weltkarte beiwohnen. Satte 94 Quadratmeter Auftriebsfläche recken sich bei diesem Giganten in den Wind. Doch “Oh Weh”, was ist passiert? Carstens Matte sieht in diesem Jahr irgendwie geschrumpft aus. Und wirklich, von den stolzen 94 Quadratmetern sind gerade einmal deren Acht übrig geblieben. Was ist passiert? Nun, erklärt Carsten lachend, sein riesiger Länderdrachen ist zwar toll, bedingt durch seine Grösse aber nicht immer und überall einsetzbar. Und da er für die Nahe Zukunft eine Veranstaltung plant bei der er wenig Rücksicht auf das Wetter nehmen kann sondern einfach nur einen Drachen in der Luft haben muss, hat er sich dazu entschlossen die Weltkarte in einer kleineren Version zu fertigen. Oder besser gesagt – fertigen zu lassen. Denn auch diesmal stand die in Oldenburg ansässige Firma HQ Invento helfend zur Hand und legte kurzerhand eine Sonderserie der bekannten 8er KAP Foil auf. Die Weltkarte ist übrigens nicht appliziert sondern via Sublimationsdruck auf das Segel gebracht.
Die 8 Quadratmeter der KAP Foil oder die 94 Quadratmeter der grossen Matte sind nichts, gar nichts, gegen einen anderen alten Bekannten, den wir an dieser Stelle begrüssen möchten. Die Rede ist vom Mega Ray, einem gigantischen Manta Drachen, der einst von Peter Lynn gebaut wurde. Gigantische 42 Meter Spannweite bei einer Länge von 58 Metern misst dieses Ungetüm. Dabei wurden 930 Quadratmeter Spinnaker in diesen Manta verbaut, das ihm ein Gesamtgewicht von 210 Kilogramm einbringt. Lutz Treczok hat diesen Drachen einst nach Europa gebracht doch leider kann Lutz, bedingt durch seine Krankheit, diesen Drachen nicht mehr fliegen. So entschieden sich Clara Kuhn und Sebastian “Mopped” Jüttemeier dazu den Drachen von Lutz zu übernehmen. Dass dieser Drachen etwas ganz besonderes ist, zeigt sich auch durch den Umstand, dass er nicht einfach so aus der Tüte geholt und in die Luft gehalten werden kann. Ein klein wenig Vorarbeit ist hierfür schon von Nöten wie beispielsweise die Frage nach einem geeigneten Bodenanker. Auf Fanø wurde dies in Form eines Containers gelöst. Bei einem sanften, aufwendigen Wind erhob sich schliesslich das Ungetüm in die Lüfte und stand stabil am Himmel. Ein wenig seltsam ist es ja schon. Just an dem Tag, an dem nach vielen Jahren der Mega Ray wieder am Himmel von Fanø stand, just an diesem Tag verstarb Lutz Treczok. Bei aller Freude und Feierlichkeiten auf der Insel der Drachenflieger, das war eine Nachricht, welche die Stimmung schon ein wenig dämpfte und auf einigen Veranstaltungen nochmals aufgegriffen wurde.
Wie beispielsweise bei Pinkland, das vor vielen Jahren einmal ua. aus einer Laune heraus aus der Taufe gehoben wurde und mittlerweile einen festen Stammplatz im Kalender von Fanø gefunden hat. Hierfür wird der Himmel mit pinken Drachen geschmückt, pinke Banner aufgestellt und ja, selbst die Akteure kleiden sich zu diesem Anlass in pink. Zu Ehren von Lutz wurde in diesem Jahr zudem Airbanner mit einem Gruss an den fortgegangenen Akteur in die Luft gelassen.
Apropos Gruss an verstorbene Drachenfreunde. Im März verstarb Werner Ahlgrim im Alter von 94 Jahren. Zu Gedenken an Werner wurde während des Kitefliers Meeting ein gemeinsames Fliegen organisiert, zu dem Drachen, die von Werner gebaut wurden, in die Luft gelassen worden. Da Werner ein sehr enges Verhältnis zur Insel und zu dem Drachenfest hatte, wird dieses Gedächtnisfliegen nun als fester Bestandteil in den Kalender aufgenommen – und zwar zu Rainers Geburtstag am 18. Juni.
Ebenfalls zum ersten Mal fand in diesem Jahr das Bannertreffen von Florian Janich statt. Florian baut wunderschöne Banner nicht nur für sich selbst sondern vertreibt diese auch. Nicht nur das, Florian steht zudem als gefragter Workshop-Leiter zur Verfügung. So verwundert es nicht weiter, dass im Laufe der Zeit einige Banner ihren Weg an den Strand von Fanø gefunden haben. Zeit also, so Florian, für ein Treffen um einmal all die Banner auf einem Fleck zu versammeln. Gerechnet hat der Bannerpapst mit 80 Exemplaren, um 11 Uhr waren es bereits 119 und beim finalen Zählappell kamen die Offiziellen schliesslich auf das amtliche Endergebnis von 146 Banner. Ein grossartiger Erfolg, der hoffentlich nächstes Jahr nochmals getoppt wird.
Und noch eine Prämiere am Strand von Fanø: im Internet wurde zu einem spontanen Treffen der Drumboxen eingeladen. Dick Tonnen und Jan Grandia erfanden einst diese Box, die schnell eine weite Verbreitung in der Drachenszene fand. Dick´s Aufruf auf Facebook folgten schliesslich knapp 50 Drachenflieger aus Deutschland, Holland, Italien und den USA um gemeinsam diesen hübschen Drachen steigen zu lassen.
Bleiben wir noch ein wenig bei den Kastendrachen. Nachdem sich die Fanø Classics zunehmend aus der historischen Ecke der Drachenszene verabschieden und mehr auf auf den künstlerischen und technischen Aspekt des Drachenbaus abzielen entstand bei den Geschichtsinteressierten ein Vakuum. Falk Hilsenbeck, der über viele Jahre hinweg im Organisationsteam der Classics mitgewirkt hat, nahm sich diesen Vakuum an und organisierte kurzerhand ein Treffen der klassischen Drachen, das sich reger Teilnahme erfreute. Neben wunderschönen Replikas machte unter anderem ein grandios gebauter Sperrdrachen von Achim Kinter auf sich aufmerksam.
Unabhängig vom Wetter ist die sogenannte Inbus Weitwurf Weltmeisterschaft, die in diesem Jahr zum dritten Mal von Wilfried Tiegs durchgeführte wurde. Hierfür treffen sich die Drachenverrückten am Strand um einen mehrere Kilo schweren Inbusschlüssel möglichst weit zu werfen. Der Siegerpokal landete am Ende bei den Frauen bei Anke Alforye (13.26m), bei den Männern bei Thomas Klicke (17,32m) und bei den Kids bei Nils Oehlers (13,49). Daneben trägt diese Aktion aber auch zur jährlichen Spende für die Kinderhilfe von Kolumbien bei, denn die Startgebühr der 76 Teilnehmer geht im vollen Umfang an diese Organisation. Über 500 Euro sind auf diesem Weg für die Kolumbianer zusammen gekommen.
2200 Euro stand am Ende auf dem Taxameter der Jungs und Mädels um Thorsten “Toddi” Fuhr von den Hansekitern. Es ist schon eine leibgewonnene Tradition, dass die Buggy Kiter am Fest Samstag von ihrem Revier im Süden der Insel hoch nach Rindby kommen und dort das sogenannte Buggy Taxi anbieten. Hierzu wird ein Zweitbuggy hinter den Zugbuggy geklemmt, in dem sich ein Fahrgast über den Strand chauffieren lassen kann. Der Clou an der Geschichte: jeder Fahrgast beteiligt sich mit einer Spende an der Aktion. Für die Sicherheit der Fahrgäste ist auch gesorgt, denn im ersten Buggy sitzen prinzipiell nur alte Hasen, die auf die speziellen Wünsche der Fahrgäste eingehen. Von zartem Beach-Crousing bis hin zur totalen Schlammpackung mit Algen- und Brandungsspezialist Sven Gross ist das komplette Angebot im Programm. Und kids und Jugendliche werden gekonnt vom erst 12jährigen Tjark Diepholt über den Strand pilotiert.
Das Fanø eine ganz besondere Insel ist, sollte allgemein bekannt sein. Nicht nur mit Hinblick auf die Drachen, nein, die Insel übt auch einen ganz besonderen Reiz auf ihre Besucher aus. Einige haben hier gar geheiratet, manche sich verlobt. So auch in diesem Jahr. Wiederum wurde sich im Internet abgesprochen und für den 16 Juni zu Sonnenuntergang am BeFree Bunker verabredet. Hier bauten die eingeweihten Drachenfreunde Hochzeitsbären und Heiratsbanner auf und warteten ungeduldig auf die beiden Hauptpersonen. Als diese dann ankamen, war die Überraschung bei der Angebeteten gross, doch nach der ersten Schrecksekunde kam das erlösende “JA” – Glückwunsch an dieser Stelle an Steffi und Chris in Hamburg!
Und? Neugierig geworden? Dann sagt ebenfalls “Ja” und kommt 2017 nach Fanø. Das 33. International Kitefliers Meeting findet vom 15. bis zum 18 Juni 2017 statt.