2. Int. Kitefestival Istanbul
Türkei

16. – 17. 5.1998

Etwas überraschend kam die Einladung ja schon – gerade einmal drei Wochen vor Festbeginn spuckte das Fax-Gerät die Einladung von Mehmet Naci Akoez, Gründer und Vorsitzender des Istanbuler “Eyrup Kardes Drachenclubs” aus.
Zum zweiten Mal, so das Fax, sollte in Istanbul ein großes, internationales Drachenfest stattfinden und hierzu wurden aus einem Land jeweils eine Delegation eingeladen.
So saß ich also in einer Boeing der türkischen Fluggesellschaft im Landeanflug auf den Istanbuler Atatürk – Flughafen und konnte mich dabei nicht vom Fenster losreißen.
Was habe ich nicht alles in der Schule über diese Stadt gehört.
Istanbul – früher einmal Konstantinobel, noch früher Byzanz. Am Schnittpunkt der Meerenge zwischen dem Schwarzen und den Mittelmeer gelegen, strahlt diese Stadt immer noch etwas vom Glanz der alten Hauptstadt des römischen Reiches, dem Mittelpunkt Byzantiniens aus.

12 Millionen Menschen leben in Istanbul, erzählt die Stewardess, 15 Millionen in Istanbul und Umgebung – das sind also dreimal soviele Menschen wie in meiner Wahlheimat Dänemark insgesammt leben.

Jeder Teilnehmer wurde auf dem Flughafen von Mehmet Akoez und seiner Tochter begrüßt. In die Stadt ging es anschließend mit einem gemieteten Kleinbus und bei dieser Fahrt wurde einem zum ersten Mal vor Augen gehalten was ein Ballungszentrum von 12 Millionen Menschen überhaupt bedeutet.
Der Verkehr in Istanbul ist nicht chaotisch, er ist einfach nur katastrophal und für ungeübte Mitteleuropäer höchstwahrscheinlich lebensgefährlich.
Gerade einmal 35km liegen zwischen dem Flughafen und unserem Hotel, doch wir benötigten für diese Strecke an einem ganz normalen Donnerstag Nachmittag zwei Stunden.
Die Stadtautobahnen Istanbuls sind zweispurig. Zumindest sind in der Regel zwei Fahrbahnen auf dem Aspalt aufgezeichnet. Doch die türkischen Autofahrer nutzen die Fahrspur lieber auf ihre eigene Art aus, was zu dreispurigen Verkehr führt. Hat die Polizei einen guten Tag, wird auch die Standspur offiziell freigegeben was zu fünfspurigen Verkehr führt. Hat die Polizei dagegen einen schlechten Tag, nehmen sich die Türken eben das Recht heraus zwischen zwei liegengebliebenen LKW’s die Autobahn bestmöglich auszunutzen, was wiederum fünfspuriger Verkehr mit einen nicht enden wollenden Hupkonzert bedeutet.
Apropos Hupe – der Turist merkt schnell, daß die Hupe wohl das wichtigste Austattungsmerkmal am türkischen Auto darstellt, lassen sich doch selbst rote Ampel in der Innenstadt von Istanbul mit ihrer Hilfe schnell und zügig überwinden. Erstaunlicher Weise erreichten wir ohne Kratzer oder Beulen das Hotel und nach einem hervorragenden Willkommens-Essen ging es erst einmal ins Bett.

Der Samstag als erster Festival-Tag nahte mit Regenschauer und keinem Wind. So trafen wir uns also erst einmal in der Zentrale der Eyrup Kardes Drachenclubs, einen eigens für den Verein angemieteten Büro in der Altstadt des früheren Byzanz.

Bereits seit 1984 treffen sich interessierte Drachenflieger um Mehmet Akoez in diesen Raeumen. Seinerzeit organisierte Mehmet, der übrigens passionierter Marathonläufer ist, den ersten Drachenwettbewerb der Türkei, seinerzeit in den Kategorien schönster und interessantester Drachen sowie einen Extrapreis für den am höchsten fliegenden Drachen.
Ab 1994 gab es dann offiziell türkischen Meisterschaften und daher wurden zusätzlich noch die Kategorien größter und kleinster Drachen sowie ältester Drachenflieger eingeführt.

1994 war es auch, als Mehmet zum ersten Mal in Sachen Drachen sein Heimatland verließ und nach Europa reiste.
In der Türkei werden für Drachen hauptsächlich Papier und Holz verwendet und dabei in fast allen Fällen Hexagone gebaut. Mit gutem Recht kann diese Art von Drachen als klassischer türkischer Drachen bezeichnet werden.
In Scheveningen / Holland nun traf Mehmet zum ersten Mal auf europäische Drachenbauer und damit auch auf Materialien wie Spinnakernylon und Kohlefaser.
Nach dem Besuch in Holland stand für Mehmet fest, daß sich in der türkischen Drachenszene noch einiges entwickeln müsse und daß die beste Möglichkeit hierzu wohl ein internationales Drachenfest wäre.
Leider konnte der Verein die hierbei entstehenden finanziellen Probleme nicht bewältigen, doch mit der Stadt Istanbul, deren Obrigkeiten sich für Mehmets Idee begeisterten, und den örtlichen Gaswerken, die noch nach einem Werbepartner suchten, der etwas mit Luft und Spaß zu tun haben sollte, ließ sich auch diese Hürde überwinden.
So fand also 1997 das erste internationale Drachenfest in Istanbul statt, das zu einem großen Erfolg wurde.
An diesen Erfolg sollte 1998 angeknüpft werden, weshalb Drachenflieger aus England, Holland, Belgien, Deutschland und Dänemark eingeladen wurden.

Um die Idee des Drachenfliegens möglichst weit ins Land zu tragen, wurden die eingeladenen Drachenflieger in kleinere Gruppen aufgeteilt und zu einzelnen Drachenfesten in die Region gefahren. Doch leider spielte das Wetter nicht so ganz mit. Nach anfänglichen Regenschauer klarte es im Verlaufe des Tages noch auf, dafür zeigte sich der Wind aber von seiner unkonstanten Seite. Dennoch gelang es uns einige Leichtwinddrachen unter stätigem Rennen in der Luft zu halten.
Das wichtigste jedoch war, daß die türkischen Kinder ihre Freude hatten. Und dies war ganz offen zu sehen. Eyrup Kardez Drachenclub hat im Vorfeld des Festes eine Unzahl an Drachen – selbstverständlich Hexagone aus Tyvek und Holz – gebaut, die für einen Minimalbetrag an die Kinder verkauft wurden. Diese waren dann spätestens nach einer Stunde im allgemeinen Chaos zerlegt, aber die Kinder hatten ihren Spaß, was ja die Hauptsache ist.

Nach dem metereologischen Widrigkeiten des Samstages hofften wir alle auf den Haupttag. Am Sonntag sollte in Istanbul auf einer Wiese direkt am Bosporus das eigentliche Drachenfest stattfinden.
Doch alle, die auf Sonnenschein und ordentlichen Wind gehofft haben, wurden herb enttäuscht, den Istanbul zeigte sich grau in grau mit heftigen Regenfällen.
Zwar versuchten wir einige Drachen in die Luft zu bekommen, nach kurzer Zeit kamen diese hoffnungslos durchnäßt wieder zum Boden. Tapfer wurde dennoch das Rahmenprogramm durchgeführt. Türkische Schulklassen traten in Landestracht auf und zeigten Volkstänze der Region. Daneben traten ein in der Türkei sehr bekannter Sänger und drei Komiker auf.
Gegen 15h sollte eigentlich Schluß des Festes sein und wir sollten zu einer Bootstour auf dem Bosporus starten. Just zu diesem Zeitpunkt hörte der Regen auf und Wind setzte ein, sodaß wir von der Bootstour abließen und doch noch unsere Drachen in die Luft bekamen.
Die türkischen Familien, die bereits auf den Weg nach Hause waren, kehrten rasch zurück und so wurde das Drachenfest doch noch zu einem Erfolg.

Die Türkei ist immer noch ein recht armes Land und der Lebensstandard ist gering.
5 – 6 jährige Kinder, die in den Hauptstrassen Istanbuls von Ampel zu Ampel hetzen und den Autofahrern billige Kugelschreiber verkaufen wollen, sind keine Seltenheit. Oder Ahmet, ein fünfjähriger Junge aus Kardaz, einem Vorort von Istanbul, der seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie damit bestreiten muß, daß er tagein, tagaus mit einem Schuhputzkoffer auf Kundensuche geht.
Was haben sich diese Kinder gefreut, als die Drachen in ihren Stadtteil kamen, die leuchtenden Augen wenn das Hexagon sich in den Himmel erhob, wenn sie stolz die Leine des Codys hielten.
Vom Wetter her war dieses Drachenfest sicherlich kein Highlight. Von den Erlebnissen aber, der erfahrenen Gastfreundschaft und der Herzlichkeit der Drachenfestbesuchern, den Eindrücken, die man mit nach Hause nimmt und Impulsen, die von diesem Drachenfest ausgehen, ist Istanbul ganz oben in meiner persönlichen Skala einzuorden.
Zumal es in meinen Augen kaum einen besseren Ort für das Drachenfliegen geben kann als dieser Platz. Istanbul, als Nahtstelle zwischen Europa und Asien, Nahtstelle zwischen Reich und Arm, zwischen Demokratie und Fundamentalismus zwischen Völker und Nationen. Wo sonst wird der Slogan das Drachen verbinden und Brücken schlagen mehr mit Leben gefüllt als hier.
Der Berliner Michael Stelzer möche übrigens 1999 eine Ohashi-Kette vom asiatischen zum europaeischen Teil Istanbuls spannen – quer über den Bosporus. Hoffentlich schafft er es!
Es ist schwer all die Eindrücke in Worte zu fassen, die auf einem einströmen, empfehlenswert ist die Reise zum 3. Int. Drachenfest in Istanbul 1999 in jeden Fall.
Und sollten Sie sich für die Reise im nächsten Jahr entscheiden, nehmen sie ein paar einfache Plastikdrachen mit – glücklicher können sie die Kinder in Istanbul nicht machen.

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