Drachen sind bekanntlich viel mehr als reines Spielzeug. Und dies nicht nur für uns Drachenenthusiasten, die ihre Drachen als Sportgerät oder Resultat vieler Stunden im Hobbykeller betrachten. Drachen sind viel mehr. Drachen wurden in der Wissenschaft eingesetzt und retteten Leben. Jahr für Jahr widmen sich die Fanø Classics einem Thema aus dem historischen Bereich und rücken dieses in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Thema in diesem Jahr: Antennendrachen.

Denkt man an Antennendrachen, so kommen einen zunächst zwei Eckpunkte in den Sinn. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Fanø Classics in diesem Jahr sich just auf diese beide Eckpunkte konzentrierten.

Zum einen gibt es da dieses spezielle Datum: der 12. Dezember 1901. An diesem Tag ließ der Italiener Guglielmo Marconi einen Drachen auf 100 Meter aufsteigen. Seine Mission an diesem Tage: der Buchstabe „S“ sollte über den Atlantik gefunkt werden. Noch nie war in der Geschichte der Menschheit eine drahtlose Funkverbindung über eine so lange Strecke, ja, zwischen zwei Kontinenten, installiert worden. Um es kurz zu machen – Marconi gelang das Kunststück und besagtes „S“ reiste durch den Äther zwischen Kanada und England. Mehr als 100 Jahre nach Marconi hatten die Veranstalter der Classics einen Traum: an Fanø´s Strand sollte dieses Experiment wiederholt und eine Funkverbindung von Fanø aus nach Amerika hergestellt werden. Und da sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Drachen sondern auch die Funktechnik weiterentwickelt hat, begnügten sich die Macher der Fanø Classics im Jahr 2010 nicht mit einem einzelnen Buchstaben, diesmal sollte es bitteschön zu einer Sprachverbindung reichen. Ob es geklappt hat? Lest selbst!

Zum anderen denkt man unweigerlich an Rettungsdrachen, wenn von Antennendrachen die Rede ist. Und hier steigen wir nun direkt in die diesjährigen Classics ein: am Donnerstag findet bekanntlich das Symposium in der Schule von Nordby statt. Neben interessanten Vorträgen zum Thema wartet auch eine Ausstellung von klassischen Drachen, Nachbauten und Utensilien auf die Besucher. In diesem Jahr war Ulli Draheim mit seiner Sammlung von Rettungsdrachen, Notsendern und anderen relevanten Derivaten zum diesem Thema auf die dänische Nordseeinsel gereist. Ulli kann mit Fug und Recht als der Experte auf dem Gebiet der Rettungsdrachen bezeichnet werden und so war es eine besondere Freude für die Veranstalter die wohl größte Ausstellung der Welt zu diesem Thema auf die Dracheninsel bekommen zu haben.

Begonnen hat die Geschichte von Ullis Drachen recht zivil und zwar Anfang der 30er Jahre in Deutschland. Die Entwicklung auf dem Gebiet der Luftfahrt machte immer größere Fortschritte, die Maschinen wurden immer größer, schneller, komfortabler und flogen vor allen Dingen immer weiter. Die deutsche Lufthansa wünschte sich daher für ihre Langstreckenflüge eine Verbindung zur Heimatbasis. Hierfür wurde ein spezieller Sender konstruiert, mit dessen Hilfe man auf dem 500kHz Band morsen konnte.
Schon bald stellte sich heraus, dass sich dieser Sender wunderbar dazu eignen würde in Not geratene Flugzeugbesatzungen SOS funken zu lassen – der NS1, Notsender Nr. 1, war geboren. Als im zweiten Weltkrieg die Verluste der deutschen Luftwaffe im Kampf um England immer größer und immer mehr Piloten über dem Ärmelkanal und der Nordsee abgeschossen wurden, erinnerte sich das Militär an das zivile Rettungssystem. Ein Rettungssystem wurde entwickelt, das 1941 Einsatzreife erlangte.
Dieses System bestand aus zwei Behältern: einem Behälter für den Sender, nunmehr Notsender 2, oder auch NS2, genannt, sowie einen weiteren Behälter für die restlichen Gerätschaften: einem Drachen, 2 Ballons, 1 Sauerstoff- und eine Wasserstoffflasche sowie einem Handbuch. Alles in allem wog das System etwas mehr als 14kg und war mit einer Leine an einem Schlauchboot befestigt.
Ein in Not geratener Pilot sollte, so die Theorie, die Container kurz vor der Wasserung abwerfen, das Schlauchboot aufblasen, an Bord klettern und dann den Sender klar machen.
Hierzu muss zunächst die Antenne in die Luft gebracht werden. Unter einer Windgeschwindigkeit von 6 m/s wurden die beiden Ballone aufgeblasen, bei einer Windgeschwindigkeit darüber der Kastendrachen aufgebaut. An den Ballonen, bzw. an dem Kastendrachen wurde anschließend die Antenne auf Höhe gebracht. Nun konnte der Pilot den Sender einschalten. Mit Spannung wurde dieser durch eine Handkurbel auf dessen Oberseite versorgt, mit dessen Hilfe der Pilot einen Dynamo antrieb. Um diesen Knochenjob wenigstens ein klein wenig zu erleichtern, sollte der Pilot den Sender bei der Kurbelei zwischen seine Beine klemmen. Hierfür war der Sender extra mit zwei Einwölbungen an den Seiten konstruiert, einem Umstand, der sich später für den Spitznamen des Systems verantwortlich zeichnen sollte.
Mitte 1941 fischten die Engländer ein komplettes NS2 System aus dem Ärmelkanal, untersuchten es zunächst und bauten es schließlich als T1333 nach. Das englische Pendant wies im Wesentlichen die gleichen Parameter auf wie das deutsche Original, war jedoch um runde 3kg leichter und ähnelte in der Form mehr dem NS2A von Phillips.
Offenbar waren die britischen Kapazitäten zur Serienfertigung begrenzt und konnten keinesfalls den enormen Bedarf der Alliierten decken. Aus diesem Grund trat noch im Jahre 1941 ein NS2 System seine Reise in die USA zu Bendix Aviation Ltd. an. Hier wurde das System einer kurzen Prüfung unterzogen und anschließend als SCR-578 auf den Markt gebracht. Mehr als 11.600 Einheiten wurden seinerzeit gefertigt, zunächst als 578A, dann als 578B.

Lange Zeit war zudem ungewiss, ob auch die russischen Streitkräfte über solch ein System verfügten. Ullis Sammlung brachte es ans Licht: die Zusammenarbeit zwischen den Alliierten war offensichtlich hervorragend, hatten die Russen doch ein eigenes Rettungssystem in Betrieb.
Übrigens: das System fand nach dem zweiten Weltkrieg auch wieder den Weg in die zivile Welt. Als AN-CRT3 wurde es von zivilen Luftfahrtgesellschaften wie der Lufthansa und KLM eingesetzt.
Und DISA Maritim A/S stellte in Dänemark bis Ende der 60er Jahren ein System her, das in Not geratene Segler helfen sollte und seine direkte Verwandtschaft zum Gibson Girl nicht verleugnen kann.

Das zweite Standbein des Symposiums sind neben der Ausstellung die Vorträge zum Thema. In diesem Jahr nahmen sich Ulli Draheim, Frits Sauvé, Elke und Detlef Griese sowie Dörte und Frank Schulz dem Thema an. Und das, was diese Truppe auf dem Symposium ablieferte, war vom allerfeinsten. Nicht nur, dass die sechs Drachenfreunde gekonnt durch die Geschichte der Antennendrachen führte, das Publikum wurde gekonnt mit speziellen Einlagen bei Laune gehalten. Dabei wurde der Vortrag bewusst weit gewählt und während Frits über Kommunikationsformen im Allgemeinen referierte, betätigte sich Frank am einen Ende der Aula als Zeichengeber, Detlef am anderen Ende der Halle als Signalgast und Ulli als reitender Bote, der Kaiser Frits die Depesche vom siegreichen Verlauf der Schlacht überbrachte. Die spannende Reise durch die Drachengeschichte ging weiter mit einem Überblick über die Antennendrachen, einer Einführung in die Notsender aus Ullis Sammlung bis hin zu einem Wiedersehen mit Heinz-Frank Rühmann-Schulz als Quacks der Bruchpilot. Abgeschlossen wurde die hervorragende Vortragsreihe mit einer Notfallübung am lebenden Objekt. Hierfür wurden aus dem Publikum drei Freiwillige benötigt, die von Detlef und Ulli kurzerhand bestimmt wurden. Die drei „Freiwilligen“ wurden nun in ein aufblasbares Gummiboot gesetzt und bekamen eine mystische Plastiktüte in die Hand. Auf ein Signal hin versetzten Helfer die Boote in schlingernde Bewegungen, Frits simulierte mit Hilfe einer Wasserflasche die Gischt der Nordsee. Und die drei „Freiwilligen“ durften nun die Tüte öffnen und den darin befindlichen Rettungsdrachen unter realistischen zusammen setzen. Dem Gewinner winkte als Hauptpreis ein gelbes Quietsche-Entchen.

Etwas ruhiger ging es dann am nächsten Tag zu. Bereits um 8 Uhr in der Früh trafen sich die Teilnehmer des Workshops wiederum in der Schule von Nordby. Als Workshop Leiter konnten im Vorfeld Holm Struck, Ralf Maserski und Werner Lühmann gewonnen werden. Dieses Trio baute bereits auf dem Historical Kiteworkshop, der in diesem Jahr in Stade stattfand, einen Antennendrachen nach Löwe. Just dieses Drachenexemplar brachten die drei Drachenfreunde mit nach Fanø und bauten konzentriert elf Exemplare auf dem Workshop. Das Besondere an diesem Drachen: er verfügt über eine ausgeklügelte Mechanik, welche die Zellen der Drachen aufspannt. Holm, Ralf und Werner ließen diese Mechanik eigens in einer Werkstatt für die beiden Workshops herstellen. Zum anderen verfügt der Drachen über kein außenliegendes Gestänge. Vielmehr halten die Spreizen, die mittels besagter Mechanik auf dem Mittelstab platziert sind, die Zellen in ihrer Form. Müde aber dennoch glücklich, schloss gegen 18 Uhr Abends der Workshop mit einer Erfolgsmeldung ab: alle Workshopteilnehmer konnten ihren Drachen fertigstellen und waren so gut für den nächsten Tag gerüstet.

Der letzte Tag der Fanø Classics, der Samstag, ist dem gemeinsamen Fliegen der Drachen vorbehalten. Nicht nur Workshopdrachen, auch andere historische Flugobjekte werden am Samstag in ihr Element entlassen. Wie eingangs schon erwähnt, war der Classics Samstag aber auch in anderer Hinsicht ein besonderer Höhepunkt für die Veranstalter. Zum ersten Mal in der 12 jährigen Geschichte der Fanø Classics wurde mit einer Gruppe von interessierten Enthusiasten zusammen gearbeitet, die so rein gar nichts mit Drachen zu tun haben. Die Rede ist vom Verein der Amateurfunker aus Esbjerg, die am Samstag zu Gast auf den Classics waren. Das gemeinsame Projekt: die Drachenflieger sollten eine Funkantenne der Radioamateure auf Höhe bringen und anschließend sollte, wie einst durch Marconi gezeigt, eine Funkverbindung nach Amerika hergestellt werden. Die Funkamateure aus Esbjerg reisten mit großem Gepäck an: ein Trailer, der als Funkraum diente, ein Notstromaggregat, das den nötigen Strom lieferte und eine 10 Meter lange Dipol Antenne, die anschließend auf dem 20 Meter Band senden sollte. Mit 8er Lutz und der Berliner Startcrew standen kompetente Drachenflieger aus dem Zugdrachenbereich zur Verfügung und so ging es um 10 Uhr frisch ans Werk. Der Wind blies perfekt mit 10 m/s und schnell hatte Lutz seine mittelgroße Parafoil in der Luft. Ebenfalls leichter als gedacht gelang es die 10 Meter Antenne sicher und stabil in die Leine zu hängen. Der Rest ging schnell von statten. Antennenkabel mittels Plastikverbinder an der Flugschnur befestigt, Leine geben, wiederum Antennenkabel befestigen usw. Nach kurzer Zeit stand der Drachen stabil in einer Höhe von 120 Metern und die Funkantenne baumelte einige Meter darunter. Lutz und die Berliner Jungs hätten Drachen und Antenne gerne noch weiter raus gelassen, aber die Kabellänge der Esbjerger begrenzte dieses Unterfangen. Zudem, so die Funkamateure aus Esbjerg, würde mehr Kabel in der Luft zu unnötigen Leistungsverlusten führen. Somit musste also eine Antenne ca. 70 Meter über Grund ausreichen. Ob das Unternehmen eine Funkverbindung nach Amerika herzustellen gelingen würde?

Nun war die große Stunde der Funkamateure gekommen. Schnell bauten sie ihre Anlage auf und wenig später ging das erste CQ-DX über den Sender. Erste Kontakte waren vielversprechend. Südamerika ertönte im Lautsprecher, weniger später gar Japan. Aber das waren alles noch keine richtigen Verbindungen, schließlich konnten wir die weit entfernten Stationen zwar hören, diese nahmen jedoch keine Notiz von uns. Bestätigte Verbindungen, dh. Kontakte, bei denen Informationen zum Standort und technische Daten zwischen den beiden Stationen ausgetauscht wurden, gelangen zunächst europaweit, dann auch nach Island du weit nach Russland hinein. Dann plötzlich Jubel bei den Funkamateuren an den Geräten – „Amerika ist offen“ und richtig – ein erster bestätigter Kontakt nach New Hampshire gelang. Wenig später der nächste bestätigte Kontakt in die Vereinigten Staaten: ein Funker in New York fing das Signal vom Strand von Fanø auf und kontaktete uns. Welch ein Gefühl! 109 Jahre nach Marconi gab es mit Hilfe von einem Drachen wieder eine Verbindung zwischen Europa und Amerika – das Experiment war geglückt!

Alles in allem waren die diesjährigen Fanø Classics eine absolut gelungene Veranstaltung. Und dies liegt, seien wir einmal ehrlich, hauptsächlich an den Referenten, den Workshopleitern und allen Beteiligten, die im Vorfeld ihre Freizeit und auf Fanø ihren Urlaub unentgeldlich zur Verfügung stellen. All diesen Leuten gebührt ein grosses Dankeschön, denn ohne ihren Einsatz wären die Fanø Classics nicht zu der Veranstaltung geworden, die sie heute sind.

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