25 Jahre International Kitefliers Meeting auf Fanø bedeuteten nicht nur 25 Jahre Drachenfliegen pur, 25 Jahre Kitefliers Meeting bedeuten auch jede Menge Veranstaltungen innerhalb der Veranstaltung. Von einer solchen soll an dieser Stelle die Rede sein – den Fanø Classics. Diese gingen in diesem Jahr in ihre 11. Runde und was es dabei alles Spannendes zu hören, sehen, bauen und fühlen gab, soll an dieser Stelle berichtet werden.
Wie bereits in den Jahren zuvor, so ging die Veranstaltung auch in diesem Jahr über insgesamt drei Tage. Das Thema in diesem Jahr: Drachen, Drachenaufstiege und Drachenbauer des Aeronautischen Observatoriums Lindenberg, das nördlich von Berlin gelegen ist.
Vor 105 Jahren, im Herbst 1904, wurde dieses Observatorium für die damals stolze Summe von 500.000 Reichsmark erbaut. Am 16. Oktober 1905 in Gegenwart seiner Majestät Kaiser Wilhelm II eröffnet, war das Aeronautische Institut von Anfang an vom meteorologischen Institut abgetrennt. Drachenaufstiege bis in Höhen von knapp unter 10.000 Metern fanden hier statt und Konstruktionen der Lindenberger Drachenbauer sind noch heute in aller Welt bekannt.
Traditionsgemäß steht der Donnerstag der Fanø Classics ganz im Zeichen des Symposiums. Bereits vor der eigentlichen Eröffnung um 14 Uhr strömten interessierte Drachenflieger zur Schule in Nordby. Hier wartete neben interessanten Vorträgen auch eine Ausstellung historischer Drachen auf die Besucher. Den Veranstaltern ist es gelungen einen breiten Querschnitt der Drachen nach Fanø zu bringen, die seinerzeit in Lindenberg vertreten waren. So fehlten weder Replikas der N- und X-Drachen, noch mehrere Replikas des von Hermann Schreck entwickelten Schirmdrachens. Dieser hat seinen Namen durch seine spezielle Konstruktion erhalten. In seinem Inneren findet sich eine ausgeklügelte Mechanik, welche die einzelnen Zellen des Drachens, wie bei einem Schirm, durch ein Gelenk und daran verbundenen Spreizstäben aufspannt. Der noch heute gültige Höhenweltrekord wurde im Übrigen mit einer Kette solcher Drachen in Lindenberg aufgestellt. Am 1. August 1919 stieg ein Gespann mit einem Hauptdrachen von 10 qm, sechs Hilfsdrachen von 8 qm und einem Hilfsdrachen von 5 qm Segelfläche auf die unglaubliche Höhe von 9740 Metern auf. Der Schirmdrachen war seiner Zeit derartig voraus, dass er noch weitere 10 Jahre treue Dienste in Lindenberg verrichten sollte. Erst dann wurde er von der nächsten Evolutionsstufe im Drachenbau, dem von Rudolf Grund entwickelten Regulierdrachen, abgelöst. Dieser, 1929 zum ersten Mal eingesetzte Drachen, wies, wie sein Vorläufer Schirmdrachen auch, ein innenliegendes Gerüst auf. Die grundlegenden Neuerungen bestanden jedoch in zwei Punkten: zum einen war die Verbindung zwischen vorderer und hinterer Zelle nicht mehr starr ausgelegt, sodass sich die Vorderzelle bei zunehmendem Wind flacher auf den Wind legen konnte. Weniger Leinenzug und damit einhergehend weniger Leinenrisse war das gewollte Ergebnis. Zum anderen waren die Seitenwände der hinteren Zelle in einem Winkel von 7 Grad zur Längsachse hin angestellt, was zu einer erhöhten Seitenstabilität führte. Achim Kinter stellte seine wundervolle Replik eines Grund Regulierdrachens auf dem Symposium aus.
Den Reigen der Vortragenden eröffnete Falk Hilsenbek, der über seine Erfahrungen beim Bau eines Lindenberg X-Drachens referierte. Falk hatte das Problem vieler Drachenbauer schmerzlich erfahren müssen – zwar gibt es einige Unterlagen und Fotos zu dem Drachen seiner Träume, um jedoch möglichst genau an das Original heranzukommen, fehlten einige Informationen, die teils mühsam über Umwegen zusammengetragen werden mussten. In Anschluss an Falk bot Werner Schmidt einen interessanten Einblick in die Welt des Observatoriums. Werner war einer der ersten Drachenflieger „der Neuzeit“, die sich für die Geschichte von Lindenberg interessierten. Noch zu DDR Zeiten reiste Werner, auf teils abenteuerlichen Wegen, nach Lindenberg um hier mit den Verantwortlichen Kontakt aufzunehmen. Aus anfänglicher Skepsis dem Wessi gegenüber erwuchs zunächst Vertrauen, später Freundschaft. Immer enger wurde der Kontakt zwischen Lindenberg und dem Drachenexperten aus Bottrop, sodass Werner heute mit Fug und Recht als der Drachenexperte in Sachen Aeronautisches Institut Lindenberg gilt. Ein guter Freund von Werner ist Walter Diem aus Hamburg. Die beiden Classic-Experten zeichnen sich unter anderem für das gemeinsam verfasste Standardwerk unter den historischen Drachenbauern „Drachen mit Geschichte“ verantwortlich. Walter referierte in seinem Vortrag über die Aufstiege am Observatorium, die nicht mit Drachen ausgeführt wurden. Hierzu kamen in der Regel Gasballone zum Einsatz, bis sowohl Ballone als auch Drachen von Flugzeugen abgelöst wurden. Nach der Pause zeigten Walter und Werner in einem gemeinsamen Vortrag bisher unveröffentlichte Fotos aus Lindenberg. Als besonderes Bonbon bekamen die Anwesenden zum Abschluss noch zwei Filme präsentiert, die zum einen Ausschnitte aus der Grönlandexpedition Wegeners zeigten, zum anderen durch eine Art Reklame- und Lehrfilm in die Arbeit eines Meteorologen einführten.
Der Freitag stand dann im Zeichen des Workshops. Dieser wurde in diesem Jahr wiederum von Michael von Rockenthien vorbereitet und durchgeführt. Was soll man sagen – ein jeder, der bei diesem Workshop nicht anwesend war, hat etwas verpasst! Denn solch einen Workshop gibt es nur einmal alle 10 oder 20 Jahre. Ehrlich gesagt war es Unglaublich, was sich Michael da aufgehalst hat. Bereits im Vorfeld, als Michael stolz verkündete, dass auf dem diesjährigen Workshop eine um 50 Prozent verkleinerte Version des Lindenberg N-Drachens gebaut werden sollte, erntete er von seinen Kollegen aus dem Fanø Classics Organisationsteam ungläubiges Kopfschütteln. Einen solchen Drachen auf einem eintätigen Workshop, noch dazu mit teils Anfängern an der Nähmaschine? Unmöglich! Doch Michael nahm die Herausforderung an und investierte einen Grossteil seiner Freizeit im Jahr 2009 auf dieses Projekt. 640 Verbinder wollten hergestellt werden, 480 Rahmenteile, davon 320 mit Gehrung, gefertigt werden. Hieraus entstanden 80 Rahmen mit jeweils 12 Bohrungen für die Spannschnüre. 160 Längsstäbe wollten nachgehobelt und auf Länge gebracht werden, 320 Fräsungen wurden an den Kopfenden angebracht. Hierbei gaben ein Bandschleifer und ein Frässkopf seinen Dienst auf. Um diese Herausforderung zu komplettierten, mussten zudem noch 40 Bahnen Stoff zugeschnitten werden. Michael schaffte das schier Unmögliche und brachte 18 hervorragend vorbereitete Bausets N-Drachen mit nach Fanø. Hierfür zollten nicht nur die Teilnehmer dem umtriebigen Hessen den allergrössten Respekt. Wie gut ein Workshop vorbereitet ist, zeigt auch die Anzahl derjeniger, die mit ihrem Drachen während des Workshoptages fertig geworden sind. Um es vorweg zu nehmen – bis auf einige kleineren Justagen wurden alle Teilnehmer mit ihrem Drachen an diesem Tag fertig.
So gerüstet, kam das große Finale der Fanø Classics am Samstag. Der Wind blies ordentlich mit Richtung von der See her und die Sonne schien von einem blauen Himmel. Top Wetter für die klassischen Drachen also und so dauerte es nicht lange, bis sich der Himmel über Fanø mit historischer Baumwolle füllte. Die Schirmdrachen, die es tags zuvor auf der Ausstellung zu sehen gab, standen nun ruhig am Himmel, während sich der große N – Drachen von Frank Schulz dazugesellte. Und auch auch kleineren N – Drachen aus dem Workshop gesellten sich nun zu diesem wunderschönen Bild am Himmel.
So gingen an diesem Samstag drei Tage mit klassischen Drachen zu Ende. Drei Tage, in denen intensiv in deutsche Drachenbaugeschichte eingetaucht werden konnte. Aber auch drei Tage, an denen nicht nur klassische Drachen im Mittelpunkt standen, sondern auch alte Freundschaften vertieft und neue gefunden werden konnten.