Welch ein Seuchenjahr für die Drachenszene. Im Januar verstirbt Peter Powell und Joe Vaughan. Im Februar verlässt Otto Vossen die gemeinsame Drachengemeinschaft und im März verabschiedet sich Werner Ahlgrim. Und während sich schon alle auf Fanø mental auf das Gedächtnisfliegen für Werner vorbereiten, platzt die nächste Bombe. Lutz, Du alter Halunke, auch Du hast unsere Drachenwiese für immer verlassen.

Als Lutz Treczoks wurdest Du 1958 in Hankensbüttel, einem kleinen Örtchen in der Nähe von Celle geboren. Doch wir alle nannten Dich nur 8er, oder auch 8er Lutz. Einen Namen, den Du selbst immer wieder für Dich promotet hast bis er so etwas wie Dein Markenzeichen war. Die 8 schmückte übergross Deine Kutte, die 8 war in Deinem Firmennamen, ja, selbst Deine Unterschrift zierte besagte 8. Keine Ahnung, warum Du so auf die 8 abgefahren bist, aber die Story, die dahinter steht ist schon witzig. So witzig, dass Du nicht müde wurdest diese allen und jeden zu erzählen, egal, ob er oder sie diese Geschichte nun hören mochte oder nicht. Also schliesse ich mich dieser Tradition an und erzähle die Geschichte ein letztes Mal unseren Lesern – wobei es mir ebenfalls völlig egal ist, ob sie diese nun lesen möchten oder nicht. Deine Vorliebe für grosse, zugkräftige Drachen ist allenthalben bekannt. Es gab jedoch einmal die Diskussion bis zu welcher Windstärke man diese grossen Drachen steigen lassen kann. Du stelltest das Postulat in den Raum, dass Du auch bei leichtem Sturm noch die grossen Cody´s in die Luft lässt. Yep, Lutz ist mal wieder am Plaudern, dachten wir – und sollten schnell eines besseren belehrt werden. Du Verrückter hast tatsächlich den Drachen bei einer Windgeschwindigkeit in die Luft gelassen, bei der wir Normalos nicht nur unsere Drachen in der Tüte lassen sondern gar nicht erst auf die Wiese kommen. Wobei, so verrückt warst Du gar nicht, denn Du hattest ein kleines, aber wirkungsvolles Hilfsmittel mit dabei – einen Abseilachter. Mit diesem, bei Bergsteigern weit verbreitetem, Gerät ist es in der Tat kein Problem zugkräftige Drachen bei hohen Windgeschwindigkeiten in die Luft zu lassen. Diese dann wieder runter zu bekommen ist ein anderes Thema, aber die Wette hattest Du mit Bravour gewonnen und Dein Spitzname seit dem los.

Dabei begann die Karriere des Lutz T wie so viele andere Drachenkarrieren auch. Im Urlaub wurde ein Lenkdrachen gekauft, dieser zu einem Gespann ausgebaut. Die Lenkdrachen wurden schnell zu langweilig, Einleiner mussten gebaut werden. Doch oh weh, Du hattest so überhaupt keine Idee wie eine Nähmaschine funktioniert und wenn wir mal ehrlich sind auch keine Lust darauf diese kennen zu lernen. Also musste Lotte, Deine Frau, einspringen und den ersten Drachen für Dich nähen. Vielleicht lag es an Dir, möglicherweise auch an der Nähmaschine, vielleicht auch aus einer Kombination aus beiden – auf jeden Fall weigerte sich Lotte nach der Fertigstellung des Erstlingswerkes Dir jemals nochmals einen Drachen zu nähen. Dumm gelaufen, mein Lieber, denn so standest Du wieder am Anfang. Zwangsweise mit der Nähmaschine konfrontiert, entwickelte sich so etwas wie eine späte Liebe zwischen Euch – weitere Drachen wurden genäht, Du konntest mehr und mehr Erfahrung sammeln und schliesslich erreichten Deine Werke eine Qualität, die aussergewöhnlich und fern ab des Standards waren.

Grosse Kastendrachen waren Dein Ding. Hier insbesondere der Cody, aber auch Sauls machten Dir richtig Spass. Hauptsache gross. Oder noch grösser. Ganz gross eben. Wie der Mega Ray, den Du Peter Lynn abgeschwatzt und nach Europa gebracht hast. 42 Meter Spannweite, 58 Meter Länge, 930 Quadratmeter Stoff und ein Gewicht von 210 Kilo. Kein normaler Mensch würde sich an so etwas wagen – für Dich war es die pure Freude. Wie seinerzeit auf Fanø. 10 m/s Wind und Du musstest den Maxi Manta fliegen. Es kam, wie es kommen musste, die Leine riss und der Manta verschwand hinter ein paar Dünenreihen am Horizont. Jeder normale Drachenflieger wäre jetzt etwas angesäuert oder zumindest traurig, weil der Drachen weg ist. Nicht so Du. Mit einem Strahlen im Gesicht, das mich seinerzeit ehrlich gesagt ein wenig an Deiner Verstandesform zweifeln lassen hat, erklärtest Du mir aufgeregt wie ein kleiner Schulbub vor dem Bonbonladen, wie geil es doch sei, dass Dein Drachen gerade eine 1.5 Tonnen Schnur geschrotet hat. Nun, vermag ein Drachen solch ein dickes Tau zu zerlegen, dann ist vielleicht die Zeit gekommen die Drachen einzupacken. Aber auch nur, wenn man sich ausserhalb der 8er Welt befindet. Innerhalb des 8er Kosmos, wird das Sommerhaus vom Stoffberg des Mantas befreit, es wird eine 3 Tonnen Schnur gesucht und jawoll, 40 Minuten später stand der Drachen wieder am Himmel. Bekloppt. Oder eben – einfach Du. Man musste Dich nehmen, wie Du warst. Ein Unikum, ein Kerl mit Ecken und Kanten. Man mochte Dich, oder eben nicht. Verbiegen lassen hast Du Dich deswegen noch lange nicht. Und Lutz, mal ganz ehrlich, Du konntest einem ab und an schon gehörig auf den Zeiger gehen. Du warst Meister in dem, wie wir es hier in Dänemark auszudrücken pflegen, “snakke med store armbevægelser”, dem Reden mit grossen Armbewegungen. Und wenn Du dann noch im Vollrausch Nachts um 3 gegen die Tür meines Sommerhauses auf Fanø gehämmert hast, weil Du meintest nun sei der Zeitpunkt für eine kleine, intime Party gekommen, ja dann, lieber Lutz, dann hätte ich Dich am liebsten erschossen. Andererseits konnte ich mich immer auf Dich verlassen. Dein Wort hast Du stets gehalten. Du warst es, der mich immer und immer wieder bei den Fanø Classics unterstützt, teilweise gar meinen Hintern gerettet hat. Die Banner der Veranstaltung hattest Du genäht und den Classics gespendet. Wo andere ihre Drachen schon ängstlich im Sommerhaus gebunkert hatten, hast Du den Himmel mit Codys voll gehangen – schliesslich war Fanø Classics mit dem Thema Cody und wem interessiert da schon ein mittlerer Orkan am Strand. Wo andere noch grosse Reden in Internetforen über die eventuelle Möglichkeit des Liftens von Funkantennen mittels Drachen gehalten haben, da standest Du schon längst am Strand, unter Deiner Parafoil baumelte ein Riesending von Antenne der Funkamateure aus Esbjerg. Es waren ja die Fanø Classics mit dem Thema Marconi und da muss man so was mal gemacht haben, meintest Du mit dem für Dich so typischen, breiten Grinsen. Als dann noch die Funkverbindung nach Südamerika und Thailand geklappt hat und wir breit grinsend und zufrieden auf Mettes Traktor, der als Bodenanker für die Matte diente, sassen, Alter, das war das beste Bierchen, dass ich jemals mit Dir gezischt habe.

Aber genau das ist es, für das ich Dich gemocht, bewundert und geliebt habe. Du hattest zwar eine verdammt grosse Klappe, aber hinter dieser grossen Klappe stand ebenfalls ein grosses Herz und nicht zu Letzt grosse Taten. Die Fanø Classics sind eng mit Dir verbunden, Pinkland hast Du ins Leben gerufen, für Greenpeace hast Du Drachen über AKW´s aufsteigen lassen und so manches Drachenfest im In- und Ausland wurde durch Dich so richtig farbenfroh.

Dein Abschied war ein Abschied auf Raten. Dein erster Schlaganfall vor zwei Jahren fesselte Dich ans Bett, den Folgen des zweiten Anfalles konnte Dein geschundener Körper keinen Widerstand mehr entgegen setzen. Und dennoch bist Du aus dem Leben geschieden nicht ohne noch einen finalen Schlusspunkt zu setzen. War es Zufall oder nicht. Am letzten Tag Deines Lebens breitete nach vielen Jahren in den Packtaschen nochmals der Mega Ray seine gigantischen Schwingen in der Luft über Fanø aus. Einen Tag lang stand dieser Drachen majestätisch am Himmel, einem letzten Salut für seinen Meister gebend – das Finale Grandioso Deines aussergewöhnlichen Lebens, ein letzter Gruss eines aussergewöhnlichen Mannes. Mache es gut, alter Freund, egal wo Du nun Deinen Cody aufsteigen lassen wirst.


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