Gibson Girl
In unserer Sammlung befindet sich derzeit zwei Gibson Girls in mittleren Qualitätszustand. Der eine Drachen stammt aus der ersten US – Serie, welche das braune Papprohr als Drachentasche hatte. Auf diesem war die Bedienungsanleitung aufgedruckt.
Das zweite Gibson Girl stammt aus der letzten Produktionsserie mit Stoffbeutel. Hier ist die Bedienungsanleitung direkt auf das Segel gedruckt.
Drachen wurden oftmals vom Militär missbraucht – sei es auf den frühzeitlichen Schlachtfeldern der Japaner, bei denen Drachen dem Gegner Furcht einjagen sollten, sei es in den beiden Weltkriegen, in denen Drachen als aeronautische Bollwerke eingesetzt worden sind.
Manches mal benutzte das Militär die Drachen aber auch sinnvoll, wie uns das Beispiel des Gibson Girls zeigt.
Begonnen hat unsere Geschichte dabei recht zivil und zwar Anfang der 30er Jahre in Deutschland. Die Entwicklung auf dem Gebiet der Luftfahrt machte immer größere Fortschritte, die Maschinen wurden immer größer, schneller, komfortabler und flogen vor allen Dingen immer weiter.
So war es nur eine Frage der Zeit bis sich die Lufthansa auf ihren Langstreckenflügen eine Verbindung zur Heimatbasis wünschten. Hierfür wurde ein spezieller Sender konstruiert, mit dessen Hilfe man auf dem 500kHz Band morsen konnte.
Schon bald stellte sich heraus, dass sich dieser Sender wunderbar dazu eignen würde in Not geratene Flugzeugbesatzungen SOS funken zu lassen – der NS1, Notsender Nr. 1, war geboren.
Was sich im zivilen Leben als praktisch erwiesen hat, wird oftmals ebenso hartnäckig wie beständig vom Militär ignoriert. Nicht so in diesem Fall.
Die Verluste der deutschen Luftwaffe im Kampf um England wurden immer größer, immer mehr Piloten wurden über dem Ärmelkanal und der Nordsee abgeschossen.
Um diesen Piloten helfen zu können, wurde dem zivilen NS1 gedacht und aus ihm ein Rettungssystem entwickelt, das 1941 Einsatzreife erlangte.
Dieses System bestand aus zwei Behältern: einem Behälter für den Sender, nunmehr Notsender 2, oder auch NS2, genannt, sowie einen weiteren Behälter für die restlichen Gerätschaften: einem Drachen, 2 Ballons, 1 Sauerstoff- und eine Wasserstoffflasche sowie einem Handbuch.
Alles in allem wog das System etwas mehr als 14kg und war mit einer Leine an einem Schlauchboot befestigt.
Ein in Not geratener Pilot sollte, so die Theorie, die Container kurz vor der Wasserung abwerfen, das Schlauchboot aufblasen, an Bord klettern und dann den Sender klar machen.
Hierzu muss zunächst die Antenne in die Luft gebracht werden. Unter einer Windgeschwindigkeit von 6 m/s wurden die beiden Ballone aufgeblasen, bei einer Windgeschwindigkeit darüber der Kastendrachen aufgebaut. An den Ballonen, bzw. an dem Kastendrachen wurde anschließend die Antenne auf Höhe gebracht.
Nun konnte der Pilot den Sender einschalten. Mit Spannung wurde dieser durch eine Handkurbel auf dessen Oberseite versorgt, mit dessen Hilfe der Pilot einen Dynamo antrieb. Um diesen Knochenjob wenigstens ein klein wenig zu erleichtern, sollte der Pilot den Sender bei der Kurbelei zwischen seine Beine klemmen. Hiefür war der Sender extra mit zwei Einwölbungen an den Seiten konstruiert, einem Umstand, der sich später für den Spitznamen des Systems verantwortlich zeichnen sollte.
Doch erst einmal der Reihe nach. Dieses erste, maritime Rettungssystem der Luftfahrtgeschichte erwies sich als effizient. Um die gesteigerte Nachfrage befriedigen zu können stieg wenig später auch Phillips mit der Produktion des NS2A ein. Dieses Gerät hatte die gleichen Merkmale wie das NS2, verfügte jedoch nicht über den Einbuchtungen an der Seite.
Nach dem sich das NS2 als erfolgreich erwiesen hatte, ließ die weitere Ausbreitung des Systems, auch über ideologischen Grenzen hinweg, nicht lange auf sich warten.
Mitte 1941 fischten die Engländer ein komplettes NS2 System aus dem Ärmelkanal, untersuchten es zunächst und bauten es schließlich als T1333 nach.
Das englische Pendant wies im wesentlichen die gleichen Parameter auf wie das deutsche Original, war jedoch um runde 3kg leichter und ähnelte in der Form mehr dem NS2A von Phillips.
Beim Kastendrachen haben sich die Engländer dagegen ein ganz neues Konzept einfallen lassen.
Dieser wurde mit Hilfe einer Feststoffrakete aus seinem Tornister gezogen und auf Höhe geschossen. Hier angelangt, faltete sich der Kastendrachen automatisch auseinander und konnte aus eigener Kraft weitersteigen.
Ob dieses System jemals ordentlich funktionierte ist indes ungewiss.
Offenbar waren die britischen Kapazitäten zur Serienfertigung begrenzt und konnten keinesfalls den enormen Bedarf der Alliierten decken.
Aus diesem Grund trat noch im Jahre 1941 ein NS2 System seine Reise in die USA zu Bendix Aviation Ltd. an.
Hier wurde das System einer kurzen Prüfung unterzogen und anschließend als SCR-578 auf den Markt gebracht. Mehr als 11.600 Einheiten wurden seinerzeit gefertigt, zunächst als 578A, dann als 578B.
Die Amerikaner bauten den Sender, wie die Deutschen auch, mit Einwölbungen an der Seite. Hier schließlich bekam das System auch seinen Spitznamen weg. Denn den Amerikanern erinnerte die Form des Senders an die Körper der in Mieder gepressten Damen des Frauenzeichners Charles Gibson – und so dauerte es nicht lange, bis das System nur noch als „Gibson Girl“ bezeichnet wurde.
Übrigens: das System fand nach dem zweiten Weltkrieg auch wieder den Weg in die zivile Welt. Als AN-CRT3 wurde es von zivilen Luftfahrtgesellschaften wie der Lufthansa und KLM eingesetzt.
Und DISA Maritim A/S stellte in Dänemark bis Ende der 60er Jahren ein System her, das in Not geratene Segler helfen sollte und seine direkte Verwandtschaft zum Gibson Girl nicht verleugnen kann.
Nun interessiert uns als Drachenflieger natürlich am allermeisten der Drachen. Hierbei handelt es sich um einen ganz simplen Kastendrachen. Bespannt mit einem gelben Baumwolltuch, das in seiner Konsistenz und Winddurchlässigkeit sehr nahe an den Segeln der größeren Roloplane liegt.
Das Gestänge besteht aus 5mm Aluminiumrohr. Aufgespannt wird der Kasten durch ein mittig in jeder Zelle befindliches Spannsystem. An den vier Außenrohren wurde mit einem Klappmechanismus jeweils ein Alurohr befestigt. Diese vier Alurohre wurden im Zentrum der Zelle wiederum beweglich an einem Mittelteil befestigt. Da die vier Alurohre jeweils um einen Zentimeter länger sind als der halbe Durchmesser der Zelle, wird durch sanftes drücken auf den Mittelverbinder die Zelle schnell und sicher aufgespannt.
Je nach herrschender Windgeschwindigkeit wurde der Draht zum steigen lassen des Drachens an einer bestimmten Stelle der vorderen Stelle befestigt. Beim 578A, dem amerikanischen Gibson Drachen, ist zudem der Anleinpunkt auf dem Segel aufgedruckt – bei einer Windgeschwindigkeit von 3.5 bis 10 m/s im hinteren Bereich der Vorderzelle, bei einer Windgeschwindigkeit von 7.5 bis 20 m/s direkt an der Nase der Vorderzelle.
Lust bekommen ein eigenes Gibson Girl zu bauen? Nur zu! Die Masse sind aus Skizze 1 ersichtlich.
Eine Seite einer Zelle misst 42cm, die Tiefe beträgt, ohne Nahtzugabe 29cm. Für eine Zelle benötigen Sie somit eine Stoffbahn mit den Massen 168 x 29cm. Diese wird mit einer Nahtzugabe versehen, an den Kanten gesäumt und zusammengenäht.
Die Längsrohre sind 125cm lang und mit einem der Klammernadel ähnlichen Metallfederchen am Segel befestigt. Die Spreizrohre sind jeweils 31cm lang und mittig in der Zelle angebracht.
Wollen Sie lieber ein Original Gibson Girl in den Händen halten? Auch dies ist kein Problem, denn von den einst gebauten 16.000 Stück sind noch einige übrig und werden immer wieder einmal im Internet Auktionshaus Ebay angeboten. Ca. 60 US-Dollar muss man für einen gut erhaltenen Drachen aus dem System investieren, ein Sender kostet ca. 125 US Dollar.
Einen Harken hat die Sache mit eBay jedoch. Wir Deutschen sind im Umgang mit unserer Geschichte manchmal sehr vorsichtig, ab und an vielleicht auch einmal zu vorsichtig.
Das Gibson Girl wird bei eBay oftmals in der Kategorie „World War II Collection“ angeboten und eben jene Kategorie ist für in Deutschland befindliche Internet-Besucher gesperrt. Nun handelt es sich beim Gibson Girl sicherlich nicht um irgendwelchen Nazi-Mist, ersteigern werden kann das System in Deutschland dennoch nicht. Abhilfe schafft hier nur ein Freund in Frankreich, der Schweiz, in Dänemark oder wo auch immer außerhalb der BRD.